2. Was braucht die Schülerin oder der Schüler? Auf welche Bedürfnisse könnte das herausfordernde Verhalten hinweisen?
Jeder Mensch ist bestrebt, die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse sicherzustellen. Daraus ergibt sich Motivation als Dynamik, etwas anzustreben, auf etwas hinzuwirken (Kuhl, 2001). Bedürfnisse und ihre Befriedigung bauen aufeinander auf. Grundlegende Bedürfnisse müssen befriedigt sein, damit damit weitere Bedürfnisse aufgebaut werden können (Malsow, 1943).
Sind zugrundeliegende Bedürfnisse befriedigt, können Bedürfnisse auf höherer Ebene wichtig werden. Aufbauend auf das Bedürfnis der Befriedigung der grundlegenden physiologischen Bedürfnisse (Nahrung, Schlaf, körperliches Wohlbefinden) folgt das Bedürfnis nach Sicherheit und sozialer Integration. Auf das Subjekt bezogene Bedürfnisse (Selbstgestaltung und Selbstverwirklichung) werden erst dann wichtig, wenn zugrundeliegende Bedürfnisse sichergestellt sind.
Sicherheit und Wohlbefinden stellen auch im schulischen Kontext grundlegende Bedürfnisse dar. Selbstbestimmung wird erst darauf aufbauend möglich. Mit eigenen Entscheidungen geht eine Schülerin oder ein Schüler das Risiko ein, etwas Falsches zu tun oder sich von anderen abzuheben. Damit besteht das Risiko einher, von den anderen ausgeschlossen zu sein.
Herausforderndes Verhalten einzelner Schülerinnen und Schüler kann mit dem Bedürfnis einhergehen, sich als wirksam zu erleben (im positiven und im negativen Sinn) und durch das eigene Handeln Einfluss auf das Geschehen zu nehmen.
Das Bedürfnis der Selbstbestimmung wird von Deci und Ryan (1993) als psychisches Grundbedürfnis bezeichnet. Weitere Grundbedürfnisse umfassen das Erleben der eigenen Wirksamkeit (Kompetenz), die Möglichkeit der Selbstbestimmung im Handeln (Autonomie) sowie die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (eingebunden-sein). Der Mensch strebt auf die Erfüllung dieser drei psychischen Grundbedürfnisse hin, die sich gegenseitig ausbalancieren.
Erlebt sich die Schülerin oder der Schüler als zu wenig wirksam (Über- oder Unterforderung), so sucht sie oder er sich beispielsweise über störendes Verhalten einen alternativen Weg, um wirksam zu sein und Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. Eine als zu eingeschränkt erlebte Selbstbestimmung (geringe Autonomie) kann zu Widerstand und damit zu störendem Verhalten führen. Das Erleben einer geringen Zugehörigkeit zu Gruppe (geringe soziale Einbindung) kann störendes Verhalten bewirken. Die Schülerin oder der Schüler versucht, sowohl die Aufmerksamkeit der Lehrperson als auch jene der Schülerinnen und Schüler auf sich zu ziehen, um so Teil der Gruppe zu sein und diese zu bestimmen. Dies zeigt sich in unterschiedlichen Rollen, welche die Schülerin oder der Schüler übernimmt oder in die sie oder er von der Gruppe zugeordnet wird.
Aus dem Bestreben, diese drei Grundbedürfnisse zu erfüllen, ergeben sich Ansätze, um mit herausforderndem und störendem Verhalten umzugehen.
Die Schülerin oder der Schüler erlebt sich als zu wenig wirksam, es kann seine Fähigkeiten nicht zeigen.
Störendes Verhalten von Schülerinnen und Schülern kann der Lehrperson auch Hinweise geben, den eigenen Unterricht auf die Passung und die Effektivität hin zu prüfen.
Beim genauen prüfen der möglichen Motivationsdefiziten zeigt sich, dass diese sehr unterschiedliche sein können und dass damit die Lehrperson auf unterschiedliche Arten auf diese eingehen muss.
Wichtig ist:
- dass die Aufgabe Anreiz bietet,
- dass die Lehrperson das Arbeiten der Schülerinnen und Schüler auf ihr Lernen bezogen begleitet,
- dass die Tätigkeit zu einem situationsadäquaten Ergebnis führt und
- dass sich die Schülerinnen und Schüler dabei wirksam erleben.
Zudem soll die Zeit effektiv genutzt werden. Auf diese Bereiche kann die Lehrperson durch die Gestaltung des Unterrichts und durch die Ausdifferenzierung der Aufgabe auf unterschiedliche Schwierigkeitsgrade bezogen auf das Verhalten der Schülerinnen und Schüler einwirken.
Ist die Schülerin/der Schüler nicht bereit oder nicht fähig, die Aufgabe anzupacken, so sind Gespräche erforderlich, um über «metakognitive Zugänge» (überfachliche Kompetenzen) nach Gründen und Möglichkeiten zu suchen.
Metakognitive Zugänge fokussieren auf:
- die Arbeitsweise der Schülerin oder des Schülers,
- den Arbeitsort und mögliche Hilfen, sich zu organisieren,
- die Möglichkeiten der Schülerin oder des Schülers, die Arbeit zu gestalten,
- Selbststeuerung und
- Bereitschaft.
Klären sie mit der Schülerin oder dem Schüler zusammen, wo es «klemmt» und was es braucht, um die Hindernisse zu überwinden. Aus den Ansätzen ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, die Schülerin oder den Schüler in ihrer oder seiner Selbststeuerung zu fördern und diese auch zu erwarten.
- Drössler, S., Röder, B. & Jerusalem, M. (2007). Förderung von Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung im Unterricht. In M. Landmann & B. Schmitz (2007), Selbstregulation erfolgreich fördern. Praxisnahe Trainingsprogramme für effektives Lernen. Stuttgart: Kohlhammer, S. 206-231.
- Götz, Th., Frenzel, A.C. & Pekrun, R. (2007). Regulation von Langeweile im Unterricht. Unterrichtswissenschaft 35 (4), S. 312-333.
- Keller-Schneider, M. (2018). Impulse zum Berufseinstieg von Lehrpersonen. Grundlagen – Erfahrungsberichte – Reflexionsinstrumente (Kap. 2.5). Bern: hep.
- Schiefele, U. & Streblow, L. (2006). Motivation aktivieren. in: Mandl, H. & Friedrich, H. (Hrsg.), Handbuch Lernstrategien. Göttingen: Hogrefe, S. 38-49.
Mehr dazu: Was braucht die Lehrperson, um die Schülerin/den Schüler zu verstehen?
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