Schülerinnen und Schüler sind in eine Klasse als kollektives Ganzes eingebettet. Damit werden sie von dieser Lerngruppe bestimmt und geprägt; zugleich prägen und bestimmen sie diese mit. Die Beziehungen unter den Schülerinnen und Schülern sowie das Beziehungsgeflecht in der Klasse wirken sich auf das Interaktionsgeschehen aus. Damit wird klar: Alle sind direkt und indirekt miteinander verbunden, wirken aufeinander ein und sind voneinander abhängig.
Herausforderndes Verhalten einzelner Schülerinnen und Schüler ist nicht nur für die Schülerin/den Schüler selbst und für die Lehrperson von Bedeutung. Es wirkt sich zudem auf das Klassengeschehen aus. Richten Sie bei herausforderndem Verhalten einer Schülerin/eines Schülers den Blick zum einen auf die Schülerin/den Schüler selbst sowie zum anderen auf die Gruppe, die möglicherweise dazu beiträgt, das unerwünschte Verhalten zu verstärken.
Wer hat angefangen? Interaktionskreisläufe erkennen.
Was bewirkt ein Verhalten? Wodurch wurde es ausgelöst?
Jedes Verhalten resultiert als Antwort auf einen Impuls und führt zu einem Verhalten, das wiederum Impuls für das Gegenüber sein kann. Es entsteht einen Interaktionskreislauf.
Die subjektive Sichtweise der einzelnen Interaktionspartnerinnen und -partner prägt die Einschätzung, wenn es darum geht, den Anfangszeitpunkt einer Interaktion zu bestimmen.
Hat A auf das Verhalten von B reagiert und damit einen Anfang gesetzt?
Oder wurde das Verhalten von A von Z ausgelöst und ist somit eine Reaktion auf Z?
Hat Z angefangen?
Der Kreislauf zwischen «Huhn» und «Ei» ist unklar.
Herausforderndes Verhalten nach «Huhn» und «Ei» durchleuchten.
Halten Sie eine Interaktion schriftlich fest. Achten Sie dabei darauf, das Verhalten als Beobachtung zu notieren.
Schätzen Sie ein, wodurch das Verhalten einer Schülerin/eines Schülers getriggert sein könnte. Was könnte die entsprechende «Reaktion» ausgelöst haben?
Sind die Impulse von «aussen» ausgelöst worden: Jemand hat etwas gesagt oder getan? Hat die Schülerin/der Schüler etwas gedeutet?
Sind die Impulse von «innen» zu verstehen? Ist die Schülerin/der Schüler empfindlich, unsicher, beeinträchtigt - beispielsweise im Hörvermögen? Wie hat die Schülerin/der Schüler gehandelt?
Um diesen «Kreislauf» zu durchbrechen, ist es hilfreich, diesen als solchen zu erkennen und die je spezifischen Anfänge zu verstehen.
Schätzen Sie zudem ein, wodurch die andere Schülerin/der andere Schüler getriggert sein könnte.
Schauen Sie zurück: Deuten Sie die Handlung der einen Schülerin/des einen Schülers als Folge derjenigen des anderen?
Damit wird deutlich, dass es kaum möglich ist, einen Anfangszeitpunkt zu identifizieren. Es bleibt unklar, wer angefangen hat. Die Schulzuweisung ist zu vermeiden.
Handlungsmöglichkeiten als Alternativen entwickeln.
Wenn nicht geklärt werden kann, wer angefangen hat und somit etwas ändern müsste, so wird deutlich, dass auch unklar bleibt, wer etwas ändern muss. Das bedeutet, beide involvierten Interaktionspartnerinnen oder -partner können etwas bewirken.
Stärken Sie die Schülerinnen und Schüler darin, ein «anderes», das heisst selbstbestimmtes Verhalten zu wählen, um nicht abhängig von Gegenüber handeln zu «müssen».
Schätzen Sie ein, wie eine spezifische Schülerin/ein spezifischer Schüler anders, das heisst eigenständig, reagieren könnte.
Überlegen sie auch, wie die eine Interaktionspartnerin oder der andere Interaktionspartner reagieren beziehungsweise agieren könnte, um eigenständig zu handeln und nicht vom Gegenüber bestimmt zu werden.
Die eigene Rolle im Interaktionskreislauf beleuchten.
Und wie steht es mit Ihrem Handeln?
Fühlen Sie sich von Verhaltensweisen bestimmter Schülerinnen und Schüler veranlasst zu reagieren?
Triggern Sie bestimmte Verhaltensweisen?
Triggern Sie bestimmte Schülerinnen und Schüler?
Triggern Sie möglicherweise auch bestimmte Kolleginnen oder Kollegen – oder Eltern?
Analysieren Sie die Interaktionskreisläufe, in denen Sie stehen.
Halten Sie Ihr Verhalten als Beobachtung fest.
Wodurch wurde dieses angetrieben, das heisst motiviert oder getriggert?
Wie könnte Sie das Verhalten auch anders verstehen?
Wie könnte in einem weiteren Schritt gehandelt werden?
Wie könnte gehandelt werden, wenn sich jemand vor dem Verhalten anderer schützen und abgrenzen will?
Welche weiteren Schritte sind abzuleiten, um die Situation neu zu bestimmen?
Prävention: Sich nicht in herausfordernde Situationen verwickeln lassen.
Entwickeln Sie mit der einzelnen Schülerin/mit dem einzelnen Schüler, mit der Klasse und für sich selbst Möglichkeiten, wie solche Interaktionen vermieden werden können.
Präventive Ansätze, um «solche Situationen» zu vermeiden:
Ritualisierte Abläufe klären und «einspielen».
Disziplinierungen vermeiden
Klassenkultur fördern:
beispielsweise im Klassenrat oder im «Ideenbüro» Mitwirkung, Aushandlung von Regeln und Abmachungen sowie Lösungsorientierung anstossen: Wie wollen wir miteinander umgehen?
Gelebte Ruhe und Partizipation fördern
Engpässe und Bedürfnisse erkennen (Selbstregulation der Schülerinnen und Schüler fördern)
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