Herausforderndes Verhalten im Kontext der Klasse zu betrachten und darauf einzugehen, wird von allgemeinen und von eigenen Vorstellungen einer gut funktionierenden Klasse und den auf die Klassenführung bezogenen Aufgaben einer Lehrperson geprägt.
Verständnis von Klassenführung in unterschiedlichen Zeitkontexten
Was als Unterrichtsstörung bezeichnet wird, kann deutlich variieren.
Was sind aus Ihrer Sicht Unterrichtsstörungen?
Halten Sie mehrere solche Situationen fest.
Klassenführung, auch Classroom-Management genannt, umfasst unterschiedliche Sichtweisen darauf, wie der schulische Alltag geregelt und gefestigt werden kann. Es lassen sich drei Zugänge unterscheiden (Schönbächler, 2008; Keller-Schneider, 2018, S. 230ff.):
Auf Fehlverhalten reagieren
In der Pädagogik der 60er-Jahre wurde unter Klassenführung das Reagieren auf Fehlverhalten der Schülerinnen und Schüler sowie auf Unterrichtsstörungen verstanden. Im Vordergrund stand insbesondere die Frage: Was kann man tun, wenn Schülerinnen und Schüler stören? Dieser Zugang zu Klassenführung beinhaltet ein Verständnis, das insbesondere ein Reagieren auf Fehlverhalten in den Blick nimmt. Durch das Reagieren und die damit verbundenen Konsequenzen erhoffte man sich eine Wirkung. Aufgaben der Klassenführung umfassen – diesem Verständnis entsprechen – Anforderungen, die Tätigkeiten der Schülerinnen und Schüler über Anweisungen zu lenken, das Unterrichtsgeschehen zu kontrollieren und auf abweichendes Verhalten bzw. auf Unterrichtsstörungen zu reagieren.
Wie reagieren Sie auf Unterrichtsstörungen?
Was tun Sie, um trotz herausforderndem Verhalten einzelner Schülerinnen und Schüler die Kontrolle über das Unterrichtsgeschehen zu behalten?
Erinnern Sie sich an Situationen, in welchen Sie auf herausforderndes Verhalten von Schülerinnen und Schüler reagiert haben. Was haben Sie gemacht?
Unterrichtsstörungen vorbeugen (Prävention von Unterrichtsstörungen)
Ende 70er und anfangs der 80er-Jahre rückte die Prävention von Unterrichtsstörungen in den Vordergrund. Was kann man tun, um Unterrichtsstörungen zu vermeiden? Konzepte von Kounin (1967/2006) und Evertson, Emmer et al. (1980) gewannen an Bedeutung. In dieser Betrachtungsweise rückt die ganze Klasse in den Blick. Klassenführung geht über das einzelne Kind hinaus. Durch eine aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler heraus entwickelte Unterrichtsplanung (Keller-Schneider, 2018, S. 113), eine umsichtige Klassenführung und eine auf Lernen ausgerichtete Durchführung des Unterrichts können Unterrichtsstörungen vermieden werden.
In der Durchführung des Unterrichts bieten sich folgende Möglichkeiten (Kounin, 1967/2006):
Augen und Ohren überall haben, um die vielfältigen Dynamiken wahrzunehmen.
Beiläufig auf Verhaltensweise eingehen und diese lenken.
Brüche und komplizierte Organisationen vermeiden.
Echte Mitarbeit ermöglichen. Die Schülerinnen und Schüler als den Unterricht mitgestaltend aktivieren. Eine echte Mitarbeit geht über das Ausführen von Aufträgen hinaus.
Was tun Sie, um Störungen zu vermeiden?
Worauf richten Sie Ihre Aufmerksamkeit während der Durchführung des Unterrichts?
Wie gelingt es Ihnen, sowohl die einzelne Schülerin oder den einzelnen Schüler als auch die Klasse insgesamt im Blick zu haben?
Wie können sich Schülerinnen und Schüler, die herausfordernde Verhaltensweisen zeigen, wirksam erleben?
Prüfen Sie Ihre Unterrichtsführung nach folgenden Aspekten:
Sind Ihre Anweisungen klar formuliert?
Sind Aufgabe und Abläufe geklärt?
Können sich die Schülerinnen und Schüler aktiv einbringen?
Nehmen Sie störungsanfällige Momenten im Vorfeld wahr, um lenkend handeln zu können?
Stehen Sie an den Positionen im Raum, in welchen Sie sich sowohl auf einzelne Schülerinnen und Schüler zuwenden als auch alle im Blick behalten können?
Schüler- und -Schülerinnenorientierung verstärken
Seit den 90er-Jahren rückt eine stärkere Schüler- und Schülerinnenorientierung des Unterrichts in den Vordergrund. Die Schülerinnen und Schüler als mitgestaltende Akeurinnen und Akteure in den Unterricht und in die Klassenkultur einzubeziehen, ermöglicht ihnen, sich als mitgestaltend zu erleben und Teil der Klasse zu sein. Auf diese Weise werden drei allgemein menschliche Grundbedürfnisse gestärkt (Deci & Ryan, 1993), (vgl. Schülerin/Schüler in den Blick nehmen).
Erleben der eigenen Wirksamkeit
Autonomie und Mitbestimmung
Soziale Einbindung, Teil der Gruppe sein
Eine lernförderliche Klassenkultur zu gestalten und zu pflegen ist Teil des Schullebens. So werden Abläufe, Schwierigkeiten und Konflikte gemeinsam geklärt; gemeinsam werden Lösungen gesucht, erprobt, evaluiert, neu vereinbart, erneut erprobt …, so dass eine Verbesserung der Klassenkultur und damit der Lernkultur sichtbar wird. Dazu werden Gespräche mit einzelnen Schülerinnen und Schüler (vgl. Schülerin/Schüler in den Blick nehmen) oder mit der Klasse als Ganzes (vgl. Klassenrat) geführt.
Was tun Sie, um die Schülerinnen und Schüler als Mitgestaltende einzubeziehen?
In welchen Bereichen interessieren Sie die Vorstellungen und Sichtweisen der Schülerinnen und Schüler?
In welchen Bereichen sind die Ideen und Wünsche der Schülerinnen und Schüler gefragt?
Wie und bei welchen Gelegenheiten sprechen Sie mit den Schülerinnen und Schülern über ihr Lernen und ihr Verhalten?
Mit herausforderndem Verhalten einzelner Schülerinnen und Schüler umgehen umfasst somit:
Handlungen, um mit dem Verhalten in einer spezifischen Situation umzugehen (vgl. Die Situation verstehen; )
Handlungen, die im Rahmen der Vorbereitungen für den Unterricht erfolgen: Diese beziehen sich sowohl auf die fachlichen Anforderungen und ihre Passung auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler, als auch auf Abläufe und Anweisungen. Damit soll ein flüssiger und adaptiver Unterricht erzielt werden.
Handlungen, die sich auf den Aufbau einer lernförderlichen Klassenkultur ausrichten, unabhängig von möglichen Störungen. Die Schülerinnen und Schüler sind als mitgestaltend und mitwirkend Teil der Klassenkultur (vgl. Heterogenität annehmen, vgl. Klassenkultur aufbauen und lenken)
Hagenauer & Raufelder (2021). Lehrer-Schüler-Beziehung.Hagenauer, G. & Raufelder, D. (2021a). Soziale Eingebundenheit. Sozialbeziehungen im Fokus von Schule und Lehrer:innenbildung. Münster Waxmann.
Hagenauer ,G. & Raufelder, D. (2021b) Lehrer-Schüler-Beziehung. In T. Hascher, T.S. Idel & W. Helsper (Hrsg.). Handbuch Schulforschung. Wiesbaden: Springer VS.
Keller-Schneider, M. (2018). Impulse zum Berufseinstieg von Lehrpersonen. Grundlagen – Erfahrungsberichte – Reflexionsinstrumente (Kap. 5). Bern: hep.
Kounin, J. S. (2006). Techniken der Klassenführung (2. Aufl.). Münster: Waxmann.
Rüedi, J. (2011). Wie viel und welche Disziplin braucht die Schule? Bern: Huber.
Rüedi, J. (2014). Zur Bedeutung positiver Beziehungen für die Klassenführung und den Umgang mit Unterrichtsstörungen. Schulpädagogik heute, 5(9).
Schweer, M. (2017). Vertrauen im Klassenzimmer. In M. Schweer (Hrsg.), Lehrer-Schüler-Interaktion. Wiesbaden: Springer, S. 523–545.